Rückenschmerzen???
Rückenschmerzen kennt fast jeder. Dabei kann man sie ganz einfach vermeiden. Oder dafür sorgen,dass es einen nicht ein zweites Mal trifft. Wie? Erfahren Sie hier.
Rückenschmerzen kommen meist aus heiterem Himmel. Wie üblich wollen Sie heute die Sauerstoffdusche vor der Arbeit geniessen, schließlich radeln Sie bei Wind und Wetter ins Büro. Auch heute heben Sie Ihren Drahtesel mit lässigem Schwung auf die Schulter, um ihn aus dem Keller zu schleppen. Doch jetzt zieht Ihr Körper die Notbremse: Stechende Rückenschmerzen jagen Ihnen in die Lendenwirbelsäule. Blitzschnell kontrahieren die unteren Rückenmuskeln, betonieren den Ischiasnerv geradezu ein. Und binnen Sekunden mutieren Sie durch die Rückenschmerzen von einem stattlichen Kerl zum bedauernswerten Jammerlappen.
Vielleicht können Sie mitfühlen, weil Sie selber schon mal unter Rückenschmerzen gelitten haben. Falls nicht, seien Sie auf der Hut – denn früher oder später erwischt es fast jeden. 80 Prozent aller Bundesbürger bekommen wenigstens einmal im Leben Rückenschmerzen. In den allermeisten Fällen ist es zum Glück nichts Ernstes. Experten sprechen von sogenannten unspezifischen Rückenschmerzen – weil Ärzte trotz modernster Computer- oder Kernspintomografie keine Ursache für die Rückenschmerzen dingfest machen können.
Das ist in jeder Hinsicht unbefriedigend.
Denn Rückenschmerzen sind das Volksleiden Nummer eins. Nach Erkältungskrankheiten sind Rückenschmerzen der häufigste Grund für einen Arztbesuch – und mit zehn Prozent sogar der häufigste für Fehlzeiten am Arbeitsplatz. Neben dem persönlichen Leid ist das ein immenser Kostenfaktor: Behandlungen und Arbeitsausfälle von Rückenschmerzen kosten die Volkswirtschaft jedes Jahr rund 50 Milliarden Euro.
Stellen sich zwei Fragen: Warum bereitet uns gerade der Rücken solche Probleme? Und wie schaffen wir es, dass wir mit ihm nicht kreuzunglücklich werden?
Auch wenn handfeste Diagnosen Seltenheitswert haben: „Bloße" Muskelverspannungen sind der Beginn fast aller Rückenschmerzen. Immer mehr Fachleute warnen daher vor „Überdiagnostik" und vorschnellen Operationen. Manche Experten halten gar (weit) mehr als die Hälfte der rund 160 000 Bandscheibenoperationen im Jahr in Deutschland für überflüssig! Stattdessen müsse man die Betroffenen aktivieren – ihnen im wahrsten Sinne des Wortes den Rücken stärken. Es ist wie mit der Takelage eines Segelschiffs – so halten mehr als 150 Muskeln und ein Geflecht aus Sehnen und Bändern unsere Wirbelsäule im Lot. Unser hektischer Alltag gleicht einem Einsatz in stürmischer See – da müssen die Taue immer wieder gestrafft, sprich: die Muskeln trainiert werden. Und die Masten restauriert, sprich: die Wirbelsäule entspannt.
Genau daran aber hapert es, denn Deutschland bewegt sich ... viel zu wenig!
17 Millionen Erwerbstätige hierzulande arbeiten im Sitzen. Und laut einer aktuellen Umfrage von FIT FOR FUN und der DAK treiben 34 Prozent der Deutschen nur einmal in der Woche oder seltener Sport. Das nimmt uns der Rücken krumm: Die Muskeln erschlaffen, Bänder übernehmen Haltefunktionen und sind damit überfordert, Schon- und Fehlhaltungen schleifen sich ein, Verspannungen und Rückenschmerzen sind programmiert. Tröstlich ist, dass in acht von zehn Fällen die Rückenschmerzen nach spätestens zwei bis drei Monaten (fast) von allein wieder verschwinden. Aber die Gefahr ist da, dass die Rückenschmerzen, in kürzeren Abständen, wiederkehren und chronisch werden. „Das trifft auf ungefähr 20 Prozent aller Rückenschmerzpatienten zu", sagt Professor Monika Hasenbring, vom Institut für Medizinische Psychologie der Ruhr-Universität Bochum.
Unterschätzte Risikofaktoren: Stress und Unzufriedenheit
mit der eigenen Lebenssituation. Beides schlägt aufs Gemüt – und der Rücken trägt das mit. Bewegung als Heilmittel gegen Rückenschmerzen also? Wer schon mal von der „Hexe" heimgesucht wurde, kennt den Reflex: bloß nicht rühren! Doch auch wenn's wehtut: „Schmerzen sind kein Grund, sich zu schonen", sagt Schmerztherapeut Dr. Hubertus Kayser, 55, aus Bremen. Rückenschmerzen sind ein Alarmzeichen, aber „die Sorge, mit Bewegung etwas kaputt zu machen, ist unbegründet". Also: Packen Sie eine Wärmflasche (alternativ: Wärmesalbe oder -pflaster) aufs Kreuz und werfen Sie wie bei gelegentlichen Kopfschmerzen eine Tablette ein (etwa mit Ibuprofen oder Paracetamol).
Bleiben Sie aktiv!
Das mag Sie überraschen, aber ohne Rückenschmerzen bewegen Sie sich freier – und Verkrampfungen lösen sich leichter. Lassen Sie sich, wenn's irgend geht, auch nicht von (überflüssigen) Röntgen- und Kernspinaufnahmen bremsen. „Die zeigen oft Auffälligkeiten, die nichts mit den augenblicklichen Beschwerden zu tun haben. Aber sie sensibilisieren den Patienten, und er wird übervorsichtig", sagt Professor Thomas Kohlmann, 58, vom Institut für Community Medicine an der Universität Greifswald. Tatsächlich wiesen in einer Schweizer Studie 73 Prozent der Teilnehmer Defekte an den „Stoßdämpfern" auf – über Rückenschmerzen klagte keiner! „Nur in Härtefällen, wenn die Schmerzen nach drei bis fünf Tagen nicht nachlassen, wenn sie in die Beine ausstrahlen oder wenn Rücken, Genitalbereich oder Beine gefühllos sind, ist eine weitergehende Diagnostik und gegebenenfalls eine Operation erforderlich", sagt Kayser.
Sie treiben regelmäßig Sport – und haben's trotzdem im Rücken?
Für Sportwissenschaftler Ingo Froböse, 54, von der Deutschen Sporthochschule in Köln ist das kein Widerspruch: „Wer ab und zu nach Feierabend eine Runde joggt, kann einen passiven Alltag nicht kompensieren. Wir sind damit vielleicht zwei von 168 Wochenstunden aktiv – das ist zu wenig." Laut Froböse brauchen wir mehr Abwechslung um uns vor Rückenschmerzen zu schützen. „Wer in einem Sitzberuf arbeitet, am besten drei bis fünf ‚Portionen' am Tag. Es reicht aber nicht, kurz eine Treppe hochzulaufen. Atmung, Puls, Durchblutung – alles muss in Gang kommen."
Froböses Tipp: zum Beispiel in der Mittagspause zehn Minuten um den Block, aber zackig statt gemütlich. Oder: aufrecht auf den Stuhl setzen. Arme hängen lassen, den Oberkörper (gerade halten!) 20-mal auf den Knien ablegen und wieder aufrichten. Dann 20-mal zu beiden Seiten neigen. Schließlich Ellenbogen 90 Grad anwinkeln und 30 Sekunden lang schnelle Hackbewegungen ausführen (wechselseitig).
Wenn Sie schon öfterRückenschmerzen hatten, sollten Sie noch mehr tun – etwa in der Muckibude. „Nach wenigen Wochen geht es 70 Prozent der Patienten besser, egal was für ein Krafttraining sie absolviert haben", sagt Professor Dietmar Schmidtbleicher, 62, vom Institut für Sportwissenschaften an der Universität Frankfurt. Das ist paradox, denn in so kurzer Zeit baut sich kein Muskel auf. „Die Effekte beruhen darauf, dass die Rückenmuskeln wieder besser zusammenarbeiten", so Schmidtbleicher. Nachhaltiges Training braucht länger, circa 20 Wochen. Dazu gehört der Muskelaufbau an Geräten, alternativ mit Crunches & Co., sowie die Rumpfstabilisierung.
Das ist Ihnen zu umständlich?
Ein Wackelbrett aus dem Sportfachhandel tut's auch um den Rückenschmerzen den Kampf anzusagen: Das stetige Austarieren des Körpers wirkt direkt auf die kleinen, tief liegenden „Haltungs"-Muskeln an der Wirbelsäule. Alternative: mit Kurzhanteln Zahlen und Buchstaben in die Luft schreiben. „Da die Rumpfmuskulatur zu 90 Prozent aus langsam reagierenden Fasern besteht, muss man allerdings – damit das Training auch gegen die Rückenschmerzen fruchtet – ausdauernde Reize setzen, jeweils etwa 45 Sekunden lang, und am besten drei Serien", sagt Schmidtbleicher. Aber nicht nur Gerätetraining verhindert Rückenschmerzen. Studien zufolge sind moderne Aerobic- und ähnliche Fitnesskurse ebenso effektiv. „Der Vorteil liegt in der großen Bewegungsamplitude. Da werden, anders als an der Kraftmaschine, viele Muskeln angesprochen, auch in ihrem Zusammenspiel", sagt Professor Bernhard Allmann, 43, von der Deutschen Hochschule für Prävention und
Gesundheitsmanagement.
Aber lassen wir die Effektivität mal beiseite:
Experten zufolge ist jeder Sport recht, wenn man die Tücken der Disziplinen kennt. Wer etwa Tischtennis spielt, belastet sehr einseitig, wie der frischgebackene Europameister Timo Boll weiß. Sein Doc empfahl ihm sogar, weniger zu spielen (siehe Seite 3)! Worauf Sie jeweils achten sollten, zeigt unser Rücken-Check von acht Sportarten auf Seite 2.
Mehr und mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass es für einen gesunden Rücken mehr braucht als gute Medizin, Bewegung und Muskeln. So gibt es immer wieder Patienten, die eine „erfolgreiche" Operation und Reha hinter sich haben – und trotzdem bald wieder von Schmerzen gequält werden. „Vielleicht war der Eingriff nötig, aber als alleinige Maßnahme nicht ausreichend", sagt der Osteopath Thomas Marquardt, 54, aus Hamburg. Und rät bei Rückenschmerzen zu einer immer noch ungewohnten Spurensuche.
Neben möglichen Funktionsstörungen ist zu klären: Wie reagieren Sie etwa auf Ärger mit Ihrem Partner oder Überforderung im Job? Gehen Sie offen damit um, oder fressen Sie die Probleme in sich hinein? Neigen wir zu Letzterem, leisten wir Verspannungen Vorschub. „Der Körper kompensiert solche Störfaktoren oft über viele Jahre", sagt Marquardt. Doch obwohl wir lange Zeit nichts spüren, pflanzen sich Spannungen fort – bis die Rückenschmerzen schon beim Aufheben eines Bleistiftsauftreten .
Natürlich können wir uns darauf rausreden, dass wir viel um die Ohren haben. Aber, seien wir ehrlich: Unseren Stress machen wir uns zu einem guten Teil auch selbst, wir sind den „Zwängen" nicht ausgeliefert. Probieren Sie's einfach mal: Wenn Sie um einen Gefallen gebeten werden, trauen Sie sich ein Nein. Oder pfeifen Sie darauf, perfekt sein zu wollen, und geben Sie sich mal mit
80 Prozent zufrieden. Und machen Sie sich regelmäßig locker: mit Atemübungen, mit bewusster An- und Entspannung der Muskeln (etwa progressive Muskelrelaxation) sowie gezieltem Dehnen (zum Beispiel Yoga).
„Natürlich ist es wichtig, dass Ärzte die sozialen Faktoren von vornherein mit betrachten. Noch heißt es oft: zuerst die Medizin – und wenn nichts hilft, ist es die Psyche", sagt Diplompsychologin Dr. Corinna Leonhardt, 42, vom Institut für Medizinische Psychologie an der Universität Marburg.
Doch es tut sich was!
Laut der aktuellen Nationalen Versorgungsrichtlinie für Rückenschmerzen, von über zwanzig Berufsgruppen und ärztlichen Fachgesellschaften entwickelt, soll der Arzt Belastungen im privaten oder beruflichen Umfeld künftig gezielt erfassen. Dazu braucht er natürlich Ihre Hilfe!
Aber: Ich hab's im Rücken, und das liegt am Kopf?
Davon wollen viele nichts wissen. Dabei „geht es bei Rückenschmerzen nicht darum, jemanden in die Psycho-Ecke zu stellen", sagt Leonhardt, „dem Patienten muss nur klar sein, dass zum Beispiel Stress und Sorgen dem Rücken ebenso schaden können wie etwa einseitige körperliche Belastung." Ob die Rückenschmerzen eine kurze Episode bleiben oder uns dauerhaft in Schach halten, hängt dann auch davon ab, wie wir mit ihm umgehen. „Manche Patienten vermeiden körperliche und soziale Aktivitäten, um ihren Rücken zu schonen. Damit begeben sie sich in die Isolation, und es mangelt ihnen an einem gesunden Wechsel von Spannung und Entspannung. Das verschlechtert die Stimmung, Depressionen können die Folge sein", sagt Professor Hasenbring von der Ruhr-Universität in Bochum.
Ergo: Drehen Sie bei Rückenschmerzen den Spieß um, unternehmen Sie etwas mit Freunden – und kurbeln Sie so die Produktion von Glückshormonen an. Gute Laune lockert auch Ihr Kreuz. „Wer andererseits oft die Zähne zusammenbeißt und auch unter Stress stets Haltung bewahrt, verspannt die Muskulatur nur noch mehr und verstärkt so die Rückenschmerzen", sagt Expertin Hasenbring. Welcher Typ Sie sind und was Ihnen hilft, finden Sie auf www.tpds.de/fitforfun.html heraus.
Beschleicht Sie jetzt allmählich das Gefühl, etwas gegen Ihre Rückenschmerzen tun zu müssen? Dann probieren Sie die Rückenklassiker oder unsere neuen Pilates-Rückenübungen aus – und danach schön chillen. So, wie Ihre Takelage es braucht: bewegen und pflegen, bewegen und pflegen ...
Vorsorge
Um die Rumpfmuskeln zu stärken, müssen Sie nicht stundenlang trainieren: Dieses Workout schaffen Sie in knapp 15 Minuten – machen Sie es am besten täglich. In unserer Bildergalerie finden Sie die Übungen.