Der innere Schweinehund...
Wenn der innere Schweinehund zupackt, dann ist es vorbei mit den guten Vorsätzen. Experten und Top-Sportler verraten, was es mit dieser Bestie auf sich hat – und wie man sie verdrängt.
Der Schweiß perlt über die Schläfen, unter den blonden Locken sieht man energische blaue Augen. Der Gesichtsausdruck signalisiert: fertig, aber glücklich. Einmal mehr hat Neele Kerkmann (28), Gesundheits-Coach in Berlin, ihre Laufrunde im Volkspark Friedrichshain abgespult. Wie schon an den Tagen davor. „Musik ist für mich die beste Motivation, da kann ich abschalten und mein Tempo laufen." Und wenn sie Gefahr läuft, sich doch mal nicht aufzuraffen? „Ich habe einen festen Plan, wann ich Sport mache. Ich weiß, es tut mir einfach gut. Und dann laufe ich auch und denke schon vorher an die herrliche Dusche danach." Innerer Schweinehund? Offenbar chancenlos!
„Bei Neele sind eigene Zielsetzung, Motivlage und Belohnungssystem im Einklang, da hat es der innere Schweinehund schwer", sagt der Ex-Beachvolleyballer Axel Hager (42), Bronzemedaillengewinner bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney. Heute ist Hager Coach für mentale Leistungsdiagnostik. Er kennt jene Situationen, in denen der Feind im eigenen Kopf das Training zur Qual macht. Und weiß inzwischen, wieso in unseren Köpfen auf dem Weg vom Willen zur Wirklichkeit so viel schieflaufen kann.
Wer ist dieser Feind in unserem Kopf, dieser innere Schweinehund?
Er ist das Synonym für Willensschwäche und Antriebslosigkeit – ein Dämon im Kopf, der Menschen dazu treibt, unangenehme Sachen aufzuschieben. Das ist überall so. Im Sport, im Job, in der Beziehung. Seinen Ursprung hat der Begriff im 19. Jahrhundert, wo zur Wildschweinjagd der sogenannte Sauhund eingesetzt wurde. Dieser Hund, meistens ein Terrier, hatte die Aufgabe, die gejagte Sau zu hetzen, zu ermüden und festzuhalten. Dem Terrier kam dabei sein wichtigster Charakterzug zugute: sich festbeißen können und nicht mehr loslassen – notfalls auf Kosten des eigenen Lebens.
Mich hat dieser Sauhund neulich wieder am Wadenbein gepackt. Nach der Laufrunde. Seit einem Jahr steht bei mir das Vorhaben an, anschließend noch ein paar Übungen für Rücken und Bauch zu machen. Doch die Impulse des Gehirns werden irgendwie nicht final an meinen Körper weitergeleitet. Wissenschaftlich formuliert heißt das: Meine Ziele stimmen nicht mit der Motivation überein. Statt Spaß an der Bewegung und möglicher Vorfreude auf ein attraktives Sixpack funkt mein Hirn „Schmerz, Anstrengung" an meine müden Knochen. Morgen ist ja auch noch ein Tag.
„Delay of gratification"
So hat der Persönlichkeitspsychologe Walter Mischel (81) dieses Symptom der Unlust genannt, auf Belohnungen länger als unbedingt nötig warten zu müssen. Sein „Marshmallow-Test", eine Langzeitstudie, ist längst ein Klassiker. Mischel setzte dafür vierjährige Kinder in einen Raum und stellte sie vor die Wahl: Sie können sofort einen Marshmallow bekommen. Oder sie warten 20 Minuten – und erhalten dann zwei Marshmallows zur Belohnung. Ergebnis: Ein Drittel der Kinder griff sofort zu, ein weiteres Drittel hielt es nur ein paar Minuten aus – und lediglich ein Drittel schaffte es, tatsächlich 20 Minuten zu warten. Erstaunliches zeigte sich, als Mischel dieselben Probanden 14 Jahre später wiederum untersuchte: Diejenigen, die bei den Marshmallows am längsten gewartet hatten, waren sozial kompetenter, erfolgreicher, selbstbestimmter und zuverlässiger. Sie verfügten ganz offensichtlich über mehr Selbstdisziplin.
Willensschwäche ist teilweise genetisch vorgefärbt.
„Viel ist angeboren, nur ein Teil ist veränderbar. Aus einem von Natur aus antriebsschwachen Menschen wird man keinen Motivationskünstler machen", ist Bärbel Schwertfeger (55), Psychologin, Buchautorin und Kritikerin der populären Massenmotivationstrainer, sicher. Und doch können Sie sich jetzt nicht einfach zurücklehnen, Schnitzel und Pommes bestellen und sagen: „Ich will ja, aber meine Gene sind schuld: nix zu machen!" Denn unsere Psyche lässt sich sehr wohl beeinflussen – zumindest in gewissem Maße.
Auch Wissenschaft und Medizin haben sich dieses Phänomens angenommen: Der Arzt und Motivationscoach Dr. Stefan Frädrich (39) hat jetzt darüber ein Buch geschrieben. Plakativer Titel: „Das Günter-Prinzip". Um seinen Feind im Kopf greifbar zu machen, hat er ihm einen Namen gegeben: Günter. Frädrichs Leitlinie Nummer eins, um Günter gnädig zu stimmen: Handeln Sie mit Leidenschaft! Wer mit Spaß und Interesse bei (s)einer Sache ist, fegt Hürden viel leichter weg. Fokussieren Sie sich deshalb – im übertragenen Sinn – auf den Weg, nicht nur auf das Ziel.
Beispiel gefällig?
Denken Sie bei Ihrer Laufrunde: „Hoffentlich bin ich bald rum", sind Sie auf dem falschen Weg. Achten Sie lieber darauf, wer Ihnen alles entgegenkommt; suchen Sie sich bestimmte Läufer, die Sie überholen möchten. Nehmen Sie das Ganze spielerisch – und der Spaß wird die Oberhand haben. Gelingt das, belohnen wir uns automatisch wieder selbst: Wie die Berlinerin Neele Kerkmann, deren Nervenzellen sie schon unterwegs mit dem Glückshormon Dopamin fluten. Und bei starken körperlichen Anstrengungen gibt's dann auch mal einen Schuss Endorphine, die sogar euphorisch machen und das Schmerzgefühl völlig unterdrücken können.
MCII – So lassen Sie Ihren Zielen Taten folgen
Gabriele Oettingen (58), Professorin für Psychologie an der Universität in Hamburg und in New York, hat eine Methode entwickelt, die Menschen dazu bewegen soll, ihren Zielen und Vorhaben auch Taten folgen zu lassen. Ihr Programm nennt sich MCII (Mental Contrasting with Implementation Intensions) und funktioniert wie folgt:
- Ein realistisches Ziel auswählen - (zum Beipiel zwei Kilogramm abnehmen durch Laufen) und sich das positive Feedback im Erfolgsfall ausmalen – vom Geist: sich fitter fühlen; von Freunden: Komplimente; vom Spiegel: Hose passt wieder!
- Die möglichen Stolpersteine orten – zu wenig Zeit, keine geeignete Laufrunde, Gelenkprobleme.
- Strategien zurechtlegen für den Fall, dass man auf Hindernisse stößt.
Nach Oettingen hängt eine erfolgreiche Strategie jetzt davon ab, mit vielen vorher durchspielbaren Wenn-dann-Konstellationen alle möglichen Hindernisse zu umschiffen. Wichtig ist, dass damit die Selbsttäuschung abgeschaltet wird. Also nicht: Morgen fange ich an und dann laufe ich jeden Tag 60 Minuten. Oder: Das schaffe ich nicht, ich habe viel zu lange keinen Sport gemacht. Für neuen Spaß am Training reichen oft solche ganz einfachen, leicht zu beherzigende Tipps, um die Motivation wieder nach oben zu schrauben.
Was passiert genau im Kopf, wenn wir gegen den inneren Schweinehund kämpfen?
Der Persönlichkeitspsychologe Professor Julius Kuhl (64) von der Universität Osnabrück hat versucht, eine räumliche Ordnung in den komplexen Ablauf der neuronalen Schaltvorgänge in unserem Gehirn aufzuzeigen. In einfachen Worten: Das grundsätzliche Problem scheint darin zu liegen, dass der Teil des Gehirns, der Pläne schmiedet (Intentionsgedächtnis im linken vorderen Gehirnbereich) kaum verbunden ist mit dem Teil des Gehirns, der das Signal zum Aufbruch gibt (rechte hintere Gehirnregion). Das heißt: Die Absicht, das Workout auszuführen, kommt bei dem verhaltenssteuernden System nicht an.
Entscheidend für den Erfolg: seine Gefühle regulieren zu können
In diesem Fall, so Kuhl, brauche man einen „positiven Affekt" – also eine optimistische emotionale Einordnung unserer Handlung, ein gutes Gefühl oder eine gute Stimmung. „Nicht der Wille ist entscheidend für den Erfolg", sagt Kuhl, „sondern die Möglichkeit, seine Gefühle zu regulieren. Auf Dauer wird es kein Handeln gegen die eigenen Gefühle und Motive geben." Das weiß auch die äthiopische Lauflegende Haile Gebrselassie (38). „Du musst nicht nur auf deinen Körper hören, sondern auch auf deinen Kopf. Wenn du da ein strukturelles Motivationsproblem erkennst, wird es Zeit für einen Wechsel." Professor Kuhl geht davon aus, dass der Mensch von drei Basismotiven geleitet wird: Leistung, Macht und soziale Beziehung.
Ein Beispiel:
Wenn drei Kollegen in München durch den Englischen Garten laufen, können das alle drei aus unterschiedlichen Basismotiven tun. Der eine, weil ihm das Laufen in der Gruppe am meisten Spaß macht (Beziehungsmotivation), der andere, weil er die Strecke unter 30 Minuten laufen möchte (Leistungsmotivation), und der dritte, weil er seinen Status in der Gruppe als Alphatier festigen will (Machtmotivation). Laufen alle drei nun auf Tempo und versuchen, unter 30 Minuten zu bleiben, werden zwei ziemlich sicher mit einem unguten Gefühl die Laufrunde beenden. Positiv emotional aufgeladen wird nur der Leistungsorientierte sein – und damit auch die Energie haben, seine Laufziele weiter zu verfolgen.
Man muss also versuchen, seine wahren Motive zu erkennen
– und sich dann die richtigen Buddies mit den gleichen Zielen als Partner suchen. Hockey-Europameister Tim Jessulat (31) erinnert sich an einen solchen Moment: „Vor Olympia 2008 hatten wir immer ein ganz spezielles Training, wo es darum ging, Grenzen zu überwinden." In dem Fall: ein Crossrun auf Zeit mit dem Team. Jessulat: „Regen, Kälte, Matsch, das war eine wahre Tortur. Aber wir haben das als Team gemeinsam geschafft – und wurden später Olympiasieger!"
Charakter erkennen und richtig fördern
Populär umgesetzt wird das Thema Selbstmotivation von Mindvisory – einer Firma, die für Führungskräfte, aber insbesondere für Spitzensportler eine Art mentale Leistungsdiagnostik erstellt. „Wir arbeiten inzwischen auch mit Fußball-Bundesligavereinen zusammen, gerade im Nachwuchsbereich", sagt Mindvisory-Mitarbeiter Axel Hager. Es sei „ganz erstaunlich, was da teils zutage tritt. Wir entdecken manchmal, dass ein Spieler, der auf dem Platz den Chef gibt, von den Basismotiven eher nach sozialer Anerkennung sucht – also ein sensibler Charakter ist." Das, so Hager, würde aber eine ganz andere Ansprache beispielsweise des Trainers erforderlich machen, um die wahren Potenziale freizulegen.
Apropos wahre Potenziale:
Mit meinem Workout nach dem Laufen bin ich durch. Ist einfach nicht mein Ding, das weiß ich nun. Aber dafür gehe ich jetzt mit ein paar Kumpels einmal die Woche zum Klettern – ein perfektes Training für Rumpf, Rücken, Arme und Schultern. Man spürt jede Faser seiner Muskeln. Und meine Botschaft an meinen Schweinehund: Es macht sauviel Spaß!